Nürnberg

Grenzüberschreitung 

„Bauen Sie Konferenzen spontan an der frischen Luft ein! Der Kreativität freien Lauf lassen!“

Die Luft ist nicht frisch heute. Es ist sogar extrem heiß und die Luftfeuchtigkeit gnadenlos hoch. Eigentlich ist es keine Konferenz, schließlich sind wir nur zu zweit. Trotzdem, genau wie die ganzen letzten Wochen, Souvenir oder die Fäden der Erinnerung ist mit dabei. Es könnten ein paar Minuten Zeit bleiben, um daran zu knüpfen oder ein paar rote Runden zu häkeln.

Seit 50 Tagen sind wir unterwegs. Unsere ToDoListe zeigt Haken hinter sechzehn fränkischen Ortsnamen. Ein guter Teil der Wollknäuel ist verarbeitet. Gespräche, sogar in Zug und U-Bahn, in Ateliers von Künstlern und Künstlerinnen, haben wir geführt, aufgeschrieben und dokumentiert. Wir konnten Ränder, Dreiländerecke und einige Grenzpunkte von Franken besuchen und dort Menschen kennenlernen. Für heute steht die Grenzüberschreitung an. Wer noch die alten Rivalitäten zwischen den beiden Städten kennt, weiß, wovon ich spreche. Meine Geburtsstadt ist Nürnberg, mein Lebensmittelpunkt, seit Jahrzehnten, Fürth.

Hey, Bro, was fehlt?

Weit kommen wir nicht. Dreimal umsteigen – wegen Baustellen am Schienennetz – das erscheint uns für die knapp 6 Kilometer Entfernung bei diesen Temperaturen zu schweißtreibend. Also bleibt: Laufen! Gleich nach der ersten Haltestelle in Nürnberg kapitulieren wir. Hinter Rosen – und Oreanderbüschen blitzen Tischchen hervor. Pastellblau. Prilblumen. Wachstuch. Da läßt es sich gemütlich besprechen, warum also ins Zentrum von Nürnberg latschen? Eine handbeschriebene Tafel verspricht feine Getränke, die können unser Arbeitsgespräch nur unterstützen. Wir sitzen in Gostenhof vor dem ehemaligen Damensalon ‚Regina‘.

Auf unserer ToDoListe stellen wir fest: sie ist komplett! Aber halt, da fehlt doch noch was. Richtig, wir wollten das Wort SOUVENIR erklären oder erklären lassen. Das Souvenir  – ein Gegenstand, den man zur Erinnerung von einer Reise mitbringt. Französischer Wortstamm: se souvenir = sich erinnern – ganz einfach also, wie es zu den Fäden der Erinnerung kam.

S-O-U-V-E-N-I-R

Das Erste, das ich erkennen kann, ist: „Wir brauchen MEHR ORTE“. Wie gut sich das trifft, für unsere Kunstaktion, denke ich. Wobei, hatten wir nicht erst vor ein paar Minuten festgestellt, daß das selbstgesteckte Ziel der Besuchsreihe quer durch Franken bereits von uns erreicht ist?
Erst auf den 2. Blick erschließt sich mir der ganze Satz.  Die Frau mit dem frechen roten Haarschnitt trägt ein T-Shirt mit einer riesigen Aufschrift: „Wir brauchen MEHR von meiner SORTE“. 

Dass dieser Slogan absolut passend ist, können wir nach unserem unterhaltsamen Gespräch nur unterstreichen. Durch ihr Interesse an meinem roten Textilobjekt sind wir gleich in einer lebhaften Unterhaltung. Nicole Thomas häkelt ebenfalls leidenschaftlich. Anhänger, Engel, Püppchen und, derzeit, Fische. „Die verschenk ick dann in Fischbach“. Sie zieht aus Ihrem Rucksack ein winzig kleines rotes Wollknäuel und eine Häkelnadel heraus. In kurzer Zeit entsteht in ihren Fingern ein Miniwal. 

„Ick hab’ im Internet von Eurer Tour durch Franken jelesen und da dacht’ ick, da schau ick doch glatt mal vorbei …“. Nicole sagt „ick“ und „jelesen“. Unüberhörbar, sie stammt nicht aus Franken, was sie grinsend bestätigt. Trotzdem darf sie hier in unserem Bericht nicht fehlen. Wer schon so lange hier lebt, noch dazu in Gostenhof, gehört einfach dazu. Im kunterbunten Stadtteil – kurz vor der Stadtgrenze nach Fürth – hören wir an diesem Nachmittag sowieso ein Sprachengewirr.

„Nicht schlecht und die grinst ja ooooch“ meint die Fachfrau, als wir unsere Treffen mit einer „fränggischn Körrriwoschdd“ abschließen. 
Ja, liebe Nicole, von Deiner Sorte brauchen wir wirklich mehr, besonders hier in Franken!