Auf Socken durchs Museum

War es wirklich Interesse an der Kunst oder die pure Lust auf spektakuläre Fotos, die seit September 2023 so unglaublich viele Menschen nach München in eine Ausstellung lockte? Obwohl sich vermutlich unter dem Titel „In anderen Räumen. Environments von Künstlerinnen 1956-1976“, die wenigsten etwas Genaueres vorstellen konnten, sobald man die unzähligen Fotos auf Instagram sah, musste man einfach in diese Show. 

In other spaces 

Daß etwas anders, als in üblichen Ausstellungen sein würde, wurde deutlich, als bei der online Buchung die Aufforderung kam, sich auf einen time-slot festzulegen. Hey, haben wir noch Pandemie, oder was? Beim Betreten der weitläufigen Innenhalle wurde klar warum und  spätestens, als die Dame am Einlass mit strengem Blick meinte: “Ihr Ticket gilt aber erst ab 17 Uhr …!“ war ich fast schon so weit, auf dem Absatz umzudrehen und in die Goldene Bar umzuschwenken. Anstatt, sozusagen.

Glücklicherweise habe ich es nicht getan

Nachdem ich mich jedoch bereits Tage vorher eingelesen hatte, von welchen Künstlerinnen Werke zu sehen sein würden, siegte schließlich Interesse über Bequemlichkeit. Die zauberhafte Bar musste warten.

Zugegebenermaßen: von den elf Künstlerinnen kannte ich bis dahin als einzige Judy Chicago. Jedoch allein die vorangegangene Recherche nach den anderen zehn, eröffnete mir einen völlig neuen Kosmos, der keinesfalls mit dem Ausstellungsbesuch abgeschlossen sein sollte.

Ebenso die Frage nach der ausgestellten Kunstrichtung ‚Environments‘ muss ich noch weiter verfolgen. Auf der Homepage des Museums wird sie folgendermaßen erklärt: „… Environments befinden sich an der Schwelle zwischen Kunst, Architektur und Design; sie kreieren und verändern den Raum. Ihr immersiver und spielerischer Charakter lädt das Publikum dazu ein, sie zu betreten, sich auf sie einzulassen und mit ihnen zu interagieren …“.

Der spielerische Charakter

Diese spezielle Einladung aus dem Haus der Kunst wurde offensichtlich von Besuchern und Besucherinnen wörtlich genommen, denn am Sontag Nachmittag schallte Kindergeschrei und fröhliches Lachen. Das bei Museumsbesuchen sonst eher übliche, möglichst geräuschlose Vorüberschleichen an Bildern und Skulpturen war ausgehebelt. Kein ehrfürchtiges Stehenbleiben vor Jahreszahlen und Texttafeln.

Durch die Räume und Environments wurde wild gesaust, strahlend farbige Gebilde johlend durchkrabbelt, Kunststoffblasen angeboxt oder in transparenten Röhren Versteck und Fangen gespielt.
In einem verspiegelten Kubus wird gepost bis die Menschenschlange davor ungeduldig wird. „Sollen wir Euch nochmal alle zusammen …?… vielleicht bei blauem statt violettem Licht …?“ Obwohl ein solcher Kubus heute seine Einmaligkeit verloren hat, eine faszinierende Anziehungskraft als Foto- und Selfie Hintergrund übt er jedenfalls aus. Beachtlich ist dabei, daß diese Arbeit von Nanda Vigo, einer italienischen Architektin und Designerin, bereits 1967 entstanden ist.

„Sind wir hier am Spielplatz oder in einem Kindergeburtstag?“ Auch in unserer Minigruppe wechselt fast kindliches Beobachten mit einem gewissen Unbehagen. Genau wie das Licht in der Spiegelbox. „Das ist doch prima, da werden die Kleinen schon mit einem Museum vertraut gemacht …!“ „Wir hätten einfach einen anderen Tag wählen sollen …!“

Ab in die Federn!

Wenn diese Aufforderung normalerweise nicht so gern gehört wird, hier war sie ein Muss. Die duftigen Vorboten des künstlerischen Werks schwirrten in allen Räumen umher, hefteten sich frech an manches Kleidungsstück, wurden fröhlich durch die Luft gewirbelt und die dunklen Teppichböden in der Ausstellung zogen die flauschigen Federn wie Magnete an.

Im letzten Raum endlich das schneeweiße Federbad, in welches man eintauchen konnte. 

Erwachsene und Kinder versanken in dieser, von Judy Chicago ersonnenen Arbeit aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sofort fühle ich mich erinnert an mein letztes Bad in der Kunst vor ein paar Wochen: Die gelben Luftballons von Martin Creed im Museum für konkrete Kunst in Ingolstadt. 

Rote Schuhe, Goldene Bar

Wieder im Vorraum angelangt, an der Wand die Körbe mit den Schuhen der momentanen Ausstellungsbesucher und – Besucherinnen. Ich starre auf meine weißen Socken, puste letzte Federchen weg, gehe in Gedanken nochmal das soeben Gesehene durch. Welches Environment hat mich am meisten fasziniert? 

Für einen Favoriten kann ich mich nicht entscheiden. Die Bewunderung jedoch für diese Künstlerinnen, die vor 80 oder 90 Jahren sowohl Mut wie Energie aufbrachten, solche Werke zu erdenken und ihre Umsetzung zu entwickeln, die bewegt mich sehr. 

Wie schade, daß man damals die Arbeiten wieder ‚dekonstruierte’? So ist es zumindest der Veröffentlichung des Museums zu entnehmen. War es Platzmangel oder Mangel an Respekt vor nicht musealer Kunst, der dazu führte, daß man vor Jahrzehnten solch außergewöhnliche Installationen nach der Präsentation wieder zerstörte? Oder lag es daran, daß es Werke von Künstlerinnen waren?

Inzwischen habe ich den Korb mit meinen roten Stiefeln wieder gefunden, die mich jetzt noch auf ein Gläschen zur Goldenen Bar tragen, schließlich brauche ich noch etwas, damit sich die Eindrücke dieser Ausstellung setzen können.

Sobald ich in meinem Atelier zurück bin, werde ich mich mit den Künstlerinnen, ihren Lebenswegen und ihren Arbeiten weiter beschäftigen. Sicherlich können mir Judy Chicago, Lygia Clark, Laura Grisi, Aleksandra Kašuba, Lea Lublin, Marta Minujín, Tania Mouraud, Maria Nordman, Nanda Vigo, Faith Wilding und Tsuruko Yamazak noch viele ‚andere Räume‘ eröffnen.

Nachtrag


Kurz nach meinem sonntäglichen Ausstellungsbesuch lese ich auf der Website des Museums: „Vielen Dank für das große Interesse an unserer Ausstellung „In anderen Räumen“, die bis zum Ende der Laufzeit am 10.3. online ausgebucht ist …“ . Was für ein Glück, daß ich rechtzeitig dort war.